Mit Sonnengrüßen aus der Ohnmacht
Eines gleich vorweg: Yoga ist kein Allheilmittel, Yogapraxis kein Heilversprechen, Achtsamkeit nicht die allumfassende Lösung für all deine Probleme. Yoga ist ein Weg der Erkenntnis und Selbsterfahrung, der Weg zu dir selbst. Yoga verkörpert das Wagnis einer ehrlichen Selbstbegegnung, die dir dabei hilft, deine tiefen Täler differenzierter zu betrachten. So kann dir Yoga mehr Klarheit schenken, Mut und Selbstvertrauen, ein besseres Körpergefühl, eine aufrechte Haltung, die sich langfristig auch in deiner Geisteshaltung widerspiegelt.
Yoga erhöht deine Stressresistenz, senkt deinen Blutdruck sowie Cortisolspiegel (Stresshormon), hilft gegen Rückenschmerzen und Verspannungen, macht dich leistungsfähiger und schenkt dir ganzheitlich Kraft und Flexibilität und beeinflusst so positiv ein gesundes Selbstbild. Verbindest du beim Yoga die Atemführung mit angenehmen Bildern, verstärkst du die Wirkung deiner Vorstellungskraft und kannst deine Körperfunktionen zusätzlich harmonisieren.
Mehr Selbst-Bewusstsein mit Yoga
Ein ganz wichtiger Faktor gerade auch bei Depressionen: Yoga entwickelt und stärkt dein Selbst-Bewusstsein. Denn selten betrachten wir eine Krise oder ein Tief als schmerzliche Aufforderung, uns bewusst mit unseren Bewältigungsstrategien auseinanderzusetzen für eine ehrliche Bestandsaufnahme. Ehrlichkeit kann unbequem und schmerzhaft sein. Schließlich ist ein Verharren im üblichen „Weiter-So“ vermeintlich leichter. Du fährst dich lieber weiter schwindelig im negativen Gedankenkarussell, statt anzuhalten und auszusteigen. Dein Geist ist es schließlich so gewohnt und mag es nicht, mit neuen Denkweisen konfrontiert zu werden. Das Ego ist sehr erfinderisch, dich dort zu halten, wo du gerade bist, anstatt neue Wege zu beschreiten. Es sichert dein Überleben und sucht sich deshalb immer den sicheren, altbewährten Weg, egal, ob er dir bislang nützlich war oder nicht.
Das Ego ist eingefahren, in dem, was es tut. Manchmal ist es in seiner Eingefahrenheit ein richtiger Angsthase. Es will dich beschützen, doch schränkt es dich mit seinen alten Mustern, Konditionierungen und Glaubenssätzen bis zur Selbstsabotage ein. Wenn du vor tiefgreifenden Entscheidungen stehst, schnürt sich dir so manches Mal die Kehle zu. Das liegt daran, dass große Entscheidungen tief sitzende Ängste auslösen. Die Verantwortung erscheint überbordend groß, du weißt weder, was dich erwartet, noch kannst du die Folgen absehen. Vielleicht hasst du auch Veränderungen und alles soll am besten immer so bleiben, wie es ist. Doch so kommst du nicht weiter, vor allem nicht auf deinem Heilungsweg.
Du bist gelähmt, wirst mutlos und stagnierst schließlich. Wenn ich jedoch immer wieder die gleichen Entscheidungen treffe und mich allen Veränderungen im Leben widersetze, friere ich ein und erstarre. Ich bin irgendwann geistig unbeweglich und körperlich eingerostet und gebe mehr Energie in den Widerstand hinein, anstatt einzusehen, dass mir alte Muster nicht bei neuen Herausforderungen helfen.
Mit Yoga aus der depressiven Gedankenspirale
Yoga basiert traditionell auf Innenschau: Mit dem Zurückziehen der Sinne (Pratyahara genannt) Fragen durch den Blick nach innen zu beantworten. Die depressive Herangehensweise, Körperempfindungen und Emotionen durch rational zu beantworten, funktioniert nicht, weil Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden. Somit sind Kopfkino und Gedankenkarussell vorprogrammiert. Yoga stärkt das Erleben der Einheit von Körper, Geist und Seele und lindert so das depressive Empfinden von Disharmonie zwischen quälendem Gedankenkreisen, innerer Unruhe und körperlicher Erschöpfung.
Indem du deine Achtsamkeit trainierst, schulst du deinen Geist, deine subjektiven Empfindungen nicht reflexartig sogleich zu bewerten oder zu verurteilen, sondern einfach nur in die Rolle des neutralen Beobachters zu schlüpfen. So schaffst du dir in Denken und Fühlen Erfahrungen, die du nicht als Bedrohungssignale werten musst. Dies macht es dir leichter, aus der depressiven Gedankenspirale auszusteigen.
Was ist deine wahre Essenz?
Wenn ich mich in meinen Gedanken und in meinem Tun ständig selbst begrenze, wie es in der Depression häufig der Fall ist, beschneide ich mich selbst – jedes Mal ein bisschen tiefer. Ich agiere nicht, sondern reagiere nur. Dabei kultiviere ich meine blinden Flecken. Ich werfe meine Substanz meinen Dämonen jedes Mal ein bisschen mehr zum Fraß vor. Im schlimmsten Fall bemitleide ich mich selbst, lehne es ab, Verantwortung zu übernehmen, zeige mit dem Finger auf andere und die böse Welt da draußen, die an allem schuld ist, was mir im Leben widerfährt. Das lässt mich wiederum klein und ohnmächtig fühlen.
So manches Mal habe ich in meinem Leben Menschen getroffen, die es sich genau in dieser Opferecke gemütlich gemacht und um selbst erfüllende Prophezeiungen nur so gebettelt haben. Das mag provokant klingen – weder will ich Leid und Schmerz von Depressiven verharmlosen. Doch es gibt eine Zeit des Schmerzes und der Trauer, und dann gibt es noch ein Leben, das gelebt werden will mit all seinen Farben und Klängen.
Ein Leben, das mit all seinen Erfahrungen freudig darauf wartet, dich an die Hand zu nehmen, um zu singen, zu tanzen, zu lachen, zu weinen, zu fallen und wieder aufzustehen.
Ein Leben, das darauf wartet, dich dorthin zu bringen, wo du hingehörst – zu dir selbst.
The place to BE
In „The Glass Girl“ von Kathleen Glasgow wird der Protagonistin Bella gesagt: „Life ist hard, Bella (…) The world is uncontrollable, but you can claim your little spot if you want it, because everyone gets a little sport. It´s up to you what to do with it.“ Und so gibt es immer einen Platz für dich in dieser Welt, der darauf wartet, von dir erobert zu werden. Einen Platz, an dem du dich heimisch fühlst. Meine schamanische Lehrerin sagte einmal, dass du an deinem Platz immer am stärksten bist. Die Depression fordert uns meines Erachtens auch dazu auf, unseren Platz im Leben einzunehmen, so dass wir uns erden, verwurzeln und beständig sein können, anstelle uns von jedem Windstoß umpusten zu lassen, um hernach wieder alles selbstzerfleischend in Frage zu stellen.
Genau an dieser Stelle setzt Yoga an.
Yoga verbindet dich mit dir selbst und lässt dich ein Bewusstsein für Lebensübergänge entwickeln. Es fördert dein feinsinniges Gespür für das, was du wirklich willst und brauchst, und hilft dir dabei zu akzeptieren, dass alles im Wandel ist – so sehr du dich auch dagegen sträuben magst.
Wir wollen immer glücklich sein, aber Glück ist lediglich ein Zustand. Doch um glücklich zu sein, brauchen wir ein starkes Nervensystem, weil so viel Lebensenergie fließt, dass wir fast platzen könnten. Mit Yoga stärkst du dein Nervensystem, um überhaupt glücklich sein und das Glück aushalten zu können.
Mit Yoga zu mehr Resilienz
Mit Yoga trainierst du auch deine Entspannungsfähigkeit und Stressresistenz. Und je höher sie ist, desto höher ist deine Resilienz. Wenn du entspannen kannst, synchronisierst du Nerven-, Hormon- und Immunsystem. Alles schwingt in einem harmonischen Rhythmus – du bist im Flow und fühlst dich gleich leichter und widerstandsfähiger. Zudem verbessert Yoga dein Körpergefühl, so dass du diesen nicht mehr als Feind betrachtest oder ihn überhaupt verzerrt wahrnimmst.
Yoga kannst du zudem spielerisch in den Alltag einbauen: Ob du in der Supermarktschlange die tiefe Bauchatmung praktizierst, um dich zu entspannen, oder deinen Entdeckergeist schulst, indem du dich als Beobachter deiner Körperwahrnehmungen erfährst, oder meditativ deine Intuition stärkst, die dich einem Kompass gleich durch die Untiefen des Lebens navigiert.
Mit Yoga gelassener zu werden, bedeutet, frei(er) zu werden von inneren Automatismen und äußeren Einflüssen. Selbsterfahrung statt Autopilot, spüren statt einfach nur funktionieren wie dies in der Depression oft der Fall ist. Yoga kann deine Sinne wieder beleben, die bei Depressiven häufig abgestumpft sind, weil sie die unendlich Leere so übermannt hat. Eine kraftvolle Yogapraxis, dynamische Mantrameditationen und intensives Pranayama wie gerade im Kundalini Yoga kann deine Synapsen wieder so brizzeln lassen, dass du manchmal schreien möchtest.
Unterscheidungskraft und heilsame Innenschau
Mit Yoga beugst du Schmerzen vor, vor allem Rückenschmerzen, und entwickelst mehr Selbstvertrauen durch neue Erfahrungen. Alte Gedankenmuster werden somit überschrieben. Und gerade mehr Selbstvertrauen hilft dir dabei, belastende Situationen und Krisenzeiten anders zu bewerten und mit ihnen umzugehen. Mehr Selbstvertrauen gewinnst du außerdem, indem du bewusst in dich hinein hörst, in das, was dein Herz, deine Seele, wirklich will. Indem du dir genau zuhörst anstelle der sonstigen Stimmen in deinem Kopf, schulst du deine Unterscheidungskraft, im Yoga „Viveka“ genannt. Viveka ist die Kunst, Echtes von Unechtem zu unterscheiden.
Egal, was deine Eltern, Freunde oder Lehrer dir über die Welt erzählt haben (eben jene Stimmen in deinem Kopf, die dich geprägt und konditioniert haben), – Viveka hilft dir wirklich zu sehen, zu verstehen und zu erkennen. Viveka befähigt dich, sinnvoll zu unterscheiden und die so für dich wirklich richtige Entscheidung zu treffen – frei von Sinnestäuschungen (Maya im Yoga genannt) und falschen Glaubenssätzen.
Mit der durch Yoga stetig wachsenden Bewusstheit lehrt dich Viveka, Dinge und Zusammenhänge ausgewogen zu erkennen, will heißen, ohne geprägte Interpretation wahrzunehmen und nicht dualistisch in gut oder schlecht einzuteilen. Denn wie oft ist die Welt in der Depression einfach nur schwarz und weiß oder schlimmstenfalls tiefschwarz.
Mit Yoga im Hier & Jetzt sein
Der Yogameister T. K. V. Desikachar beschreibt das Ziel des Yoga so: „Yoga versucht einen Zustand herzustellen, in dem wir immer gegenwärtig sind, in jeder Handlung, in jedem Moment.“ Als Depressiver fühlst du dich oft taub, abgeschnitten, nicht verbunden mit dir und der Welt. Du willst dich am liebsten den ganzen Tag hinlegen, dich verkriechen, nichts spüren, nicht da sein – einfach irgendwie gar nicht sein. Yoga verbindet Atem und Bewegung, Körper und Geist und verbindet dich nicht nur mit dem Moment, sondern mit dir selbst. Die Haltung, in der wir vollkommen mit diesem Moment verbunden sind, wird als Achtsamkeit beschrieben. Es bedeutet, dass all unsere Aufmerksamkeit auf das jetzige Tun gerichtet ist, wir vollkommen im Hier und Jetzt angebunden sind und damit auch mit uns selbst verbunden sind.
Die Yogaphilosophie folgt der Überzeugung, dass es heilsam ist, nach innen zu schauen. Zudem besagt sie, dass der Grund deines Seins von allen Verletzungen des Lebens stets unberührt bleibt. Damit verkörpert Yoga die Zuversicht, dass du in dir immer die Möglichkeit trägst, dich als ganz („all-ein“) und frei zu erleben. Leiden zerstört nicht deine wahre Essenz, sondern verschleiert lediglich deinen gesunden Kern und lässt deine Lebensfarben verschwimmen.
„Auf Dauer nimmt die Seele die Farbe deiner Gedanken an,” hat Marc Aurel einmal gesagt. Yoga schenkt dir gesamt betrachtet neue Farben mit seiner Praxis und heilsame Klänge mit seinen Mantren.
Wann bist du bereit für neue (Klang-)Farben in deinem Leben?
Der nächste Workshop „Yoga bei Depressionen“ findet am Freitag, den 9.05.2025, 17:30-20:00 Uhr, im Banyan im Herzen von Soest statt – ich freue mich auf DICH!